Focus vom 27.05.2023

„Mehr Anreize statt Gebote und Verbote“

Markus Krebber

Focus: Herr Krebber, nichts erregt die Menschen gegenwärtig mehr als der Kampf um die Heizungskeller. Können Sie als Energieversorger guten Gewissens eine Wärmepumpe empfehlen?

Markus Krebber: Da fragen Sie besser den Installateur Ihres Vertrauens. Aber im Ernst: Die Norweger heizen zum Beispiel zu rund 60 Prozent mit Wärmepumpen – und da ist es im Winter definitiv kälter als bei uns.

Sie selbst haben schon eine?

Krebber: Ja, habe ich, läuft einwandfrei.

Focus: Überrascht es Sie, wie hitzig diese Debatte geführt wird? 

Krebber: Nein, das war abzusehen, weil die Energiewende jetzt direkt beim Bürger ankommt. Vorher waren vor allem Konzerne betroffen, jetzt bekommt jeder Einzelne die Folgen zu spüren, bei der Mobilität, beim Heizen. Natürlich wird es da hitziger. Und die schwierigen Teile der Energiewende liegen noch vor uns.

Focus: Weil Sie fürchten, dass wir im Dunkeln sitzen, wenn es am Strom mangelt?

Krebber: Nein, das ist nicht meine Sorge. Genügend Strom haben wir, wenn Sie sich die Ausbaupläne für die Erneuerbaren und die wasserstofffähigen Gaskraftwerke umsetzen lassen. Das Hauptproblem ist der Netzausbau, vor allem in den Metropolregionen. Da muss schnell investiert werden, damit man mit Wärmepumpe heizen und zusätzlich auch noch das Auto laden kann.

Focus: Können Sie garantieren: Einen Blackout wird es nicht geben, auch nicht im tiefen Winter?

Krebber: Einen Blackout, also einen unkontrollierten Stromausfall, wird es nicht geben, dafür sind die Systeme zu stabil. Vorstellbar sind höchstens kurzfristig, regional beschränkte Engpässe. Aber auch hier sorgen die Netzbetreiber mit Reservekapazitäten vor. Das Problem des knappen Angebots ist vor allem, dass die daraus resultierenden hohen Energiepreise zu einem Rückgang der industriellen Produktion führen.

Focus: Simpler ausgedrückt: Wenn die Energie zu teuer ist, baut die Industrie ihre Anlagen in Deutschland ab. Wie ernst ist die Gefahr einer Deindustrialisierung?

Krebber: Wir erleben heute schon eine schleichende Deindustrialisierung, Deutschland hat als Industriestandort ein ernsthaftes Problem: Uns steht nicht so viel Energie zur Verfügung wie gebraucht wird. Diese Lücke führt zu den hohen Preisen und damit zu den berechtigten Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit.

Focus: Und wer trägt daran schuld? Die Politik?

Krebber: Das will ich nicht beurteilen. In der Sache ist es so, dass fast nur darüber diskutiert wurde, welche Technologien abgeschaltet werden sollen. Um den Ersatz wurde sich zu wenig gekümmert. Das hat sich inzwischen deutlich geändert, löst sich aber nicht über Nacht.

Focus: Sind Subventionen mittels Industriepreisbremse, wie von Robert Habeck propagiert, dafür übergangsweise eine Lösung?

Krebber: Einfache Lösungen gibt es nicht. Die Frage ist: Für wen leistet der Staat diese Überbrückung? Nur für Großunternehmen oder auch für Mittelständler? Das ist eine Verteilungsfrage, die von der Politik entschieden werden muss.

Focus: Sicher ist: Energiekonzerne wie RWE verdienen sich eine goldene Nase, indem Sie die Knappheit ausnutzen.

Krebber: Unsere Investitionen führen zu höheren Gewinnen. Dabei verdienen wir derzeit vor allem im Ausland, nicht in Deutschland.

Focus: Sie haben ein 50-Millliarden-Investitionspaket angekündigt, nicht mal ein Drittel davon geht in den Heimatmarkt. Ist der Standort so unattraktiv?

Krebber: Erst mal sind 15 Milliarden Euro sehr viel Geld. Und grundsätzlich investieren wir als internationales Unternehmen dort, wo sich attraktive Möglichkeiten bieten. Wenn wir in Deutschland Klarheit über den regulatorischen Rahmen bekommen, wenn die Beschleunigung der Energiewende so kommt, wie wir es erhoffen, dann werden wir auch hierzulande mehr als die 15 Milliarden Euro investieren. 

Focus: Brauchen wir in Europa ein staatliches Milliarden-Programm, wie es US-Präsident Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) vorgelegt hat?

Krebber: Es geht nicht ums Geld. Klimafreundliche Energien sind attraktiv für Investoren. Kapital ist für gute Projekte daher kein Engpass. Mir geht es vor allem um Verlässlichkeit. In den USA haben die Investoren dank IRA für die nächsten zehn Jahre Klarheit, in Europa wird man morgens wach und es wird über eine Änderung des Marktdesigns, neue Abschöpfungen, neue Steuern und neue Förderideen diskutiert - in Brüssel und national. Diese Unsicherheit verzögert Investitionsentscheidungen.

Focus: Ist der Ernst der Lage von der Ampel-Koalition endlich erkannt?

Krebber: Generell geht alles in die richtige Richtung, jeder ist bemüht, die Energiewende zu beschleunigen. Ob das am Ende reicht, wird man in 18 bis 24 Monaten sehen.

Focus: Ein „bemüht“ im Zeugnis heißt: allenfalls mittelprächtig, eher schlechter.

Krebber: So habe ich das nicht gemeint: Man sieht an allen Stellen, dass die Politik dabei ist, Hürden wegzuräumen. Egal, ob es um fehlendes Personal in den Behörden geht, oder darum, Genehmigungen und Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Das lobe ich ausdrücklich.

Focus: Sie waren, wie viele Spitzenmanager, zum Start der Ampel ein Fan von Robert Habeck. Gilt das immer noch?

Krebber: Fan bin ich von meinen Kindern. Von der Politik erwarte ich zielgerichtete Diskussionen und Zusagen, die eingehalten werden. Wenn die Lösungen dieses Jahr noch kommen wie versprochen, dann liegen wir im Zeitplan was die Rahmenbedingungen für die Energiewende angeht.

Focus: Der Bundeskanzler redet gar von einem neuen, grünen Wirtschaftswunder. Wunschdenken oder Wirklichkeit?

Krebber: Erst mal ist die Transformation eine riesige Herausforderung. Wenn der Umbau gelingt, bedeutet das einen Aufbau an Kapital und Arbeitskräften. Aber es muss halt gelingen.

Focus: Warum tun sich die Deutschen im internationalen Vergleich besonders schwer?

Krebber: Im Unterschied zu anderen Ländern müssen wir alles gleichzeitig machen. Wir müssen den massiven Ausbau der Erneuerbaren und Netze stemmen und die Wasserstoffwirtschaft aufbauen. Gleichzeitig müssen wir für die Versorgungssicherheit Kernenergie und Kohlekraftwerke, die verschwinden sollen, ersetzen. Andere Länder bleiben bei der Kernenergie oder haben bereits Flotten von Gaskraftwerken. Wir müssen zudem wasserstofffähige Gaskraftwerke von mehreren Gigawatt bauen, damit der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 gelingt.

Focus: Warum haben Sie als Konzernchef dann nicht für längere Laufzeiten Ihrer Atomkraftwerke gekämpft?

Krebber: Weil der Ausstieg eine politische Entscheidung ist. Wie alles in der Energieversorgung. Da können wir Unternehmen uns nur unterordnen.

Focus: Selbst der Chef eines Großkonzerns muss ein Opportunist sein und sich an den jeweiligen Wind aus der Politik anpassen?

Krebber: So würde ich das nicht ausdrücken. Am Ende ist es die Übersetzung des Bürgerwillens, welche Technologie akzeptabel ist. Wir haben uns nach dem politischen Rahmen zu richten, der im demokratischen Prozess entsteht. So einfach ist das. In den mehr als 20 Ländern, in denen wir aktiv sind, ergeben sich zum Teil sehr unterschiedlich Rahmenbedingungen.

Focus: Sie haben verkündet, mit RWE bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein. Sind Sie ein verkappter Grüner?

Krebber: Politische Präferenzen sind individuell und persönlich. Und Ideologie hat im Unternehmen nichts verloren. Man muss als Energieversorger die Zeichen der Zeit erkennen: Es gibt einen Willen und eine Notwendigkeit, die Energiewende schnellstmöglich umzusetzen. Das ist in einem wirtschaftlich tragfähigen Rahmen zu tun, ist Aufgabe unseres Unternehmens.

Focus: Die Zustimmung zum Klimaschutz im Volk scheint aber zu schwinden, sobald dieser mit konkreten Opfern verbunden ist.

Krebber: Natürlich ist das ein Punkt. Die Zahlungsbereitschaft in der Bevölkerung ist nicht unendlich, wie wir an den Beispielen Mobilität und Wärme sehen, wo die Belastungen jetzt beim Bürger ankommen. Und für einige ist es auch ohne Unterstützung des Staates nicht möglich. Deswegen drängt die Frage, wie schnell Deutschland den Umbau hinbekommt. Stur zu sagen, das geht nicht, ist falsch. Man darf die Bevölkerung aber auch nicht überfordern.

Focus: Jürgen Trittin hat als Umweltminister seinerzeit versprochen, der Umstieg auf die Erneuerbaren werde pro Monat nicht teurer als eine Kugel Eis. Auch das könnte die Skepsis der Bürger heute erklären.

Krebber: Das will ich nicht bewerten. Mir ist die Debatte insgesamt zu negativ. Es gibt viele positive Beispiele der Energiewende. Was nicht hilft, sind ständige Debatten über Verbote und Strafen. Die USA machen das geschickter. Dort belohnt man den Umbau der Industriegesellschaft über Anreize. Das Ziel ist identisch, nur ist der Weg dorthin in den USA vielleicht eleganter.

Focus: Damit es klappt mit der Energiewende, müssen wir in Deutschland vier bis fünf Windräder pro Tag aufstellen, im Moment schaffen wir nicht mal zwei. Damit sind die Klimaziele für 2030 nicht ansatzweise zu erreichen.

Krebber: Mich stört diese ewige Zieldiskussion, davon sollten wir uns verabschieden. Es ist nicht entscheidend, ob wir nun drei, vier oder fünf Windräder am Tag aufstellen, das ist müßig. Wichtig ist: Wir müssen jetzt im Tempo zulegen.

Focus: Was konkret muss dafür geschehen in der Politik?

Krebber: Der Ausbau von Erneuerbaren und Netzen muss maximal beschleunigt werden. Und es muss geklärt werden, wie wir die Versorgungssicherheit darstellen, wenn Wind und Sonne ausfallen. Dazu braucht Deutschland wasserstofffähige Gaskraftwerke, wozu es einen Vergütungsrahmen und einen Ausbauplan für das Wasserstoffnetz braucht. An Plänen für den Import von Wasserstoff kommt Deutschland ebenso wenig herum wie um die Anwendung der CCS-Technologie, bei der CO2 abgeschieden und eingespeichert wird.

Focus: Klingt nach kompletter Planlosigkeit. Dann sagen Sie uns: Wie viele neue Gaskraftwerke brauchen wir?

Krebber: Jede Menge, mit einer Leistung von 20 bis 30 Gigawatt. Diese Gaskraftwerke werden kaum laufen, aber sie werden gebraucht zur Sicherheit für die zwei, drei Wochen, klassischerweise im Februar, wenn Wind, Sonne und Kurzfristspeicher nicht ausreichen. Die Hauptleistung dieser Kraftwerke ist es nicht, Strom zu produzieren, sondern für den Notfall bereit zu stehen.

Focus: Und wer zahlt das ganze Jahr für diese Kurzzeit-Kraftwerke?

Krebber: Es ist wie mit der Feuerwehr: Die wird auch nicht für den einzelnen Löscheinsatz bezahlt, sondern dafür, bereit zu stehen für den Fall, dass es brennt. Diese Funktion der Backup-Kraftwerke muss vergütet werden, sonst werden sie nicht gebaut. Im Verhältnis zu den Gesamtkosten der Stromversorgung wird die Versorgungssicherheit mit rund zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr kein großer Kostenblock sein. Die Zeit für Klarheit zum Ausbau drängt. Mit Vorlaufzeiten von 6 Jahren bis zur Inbetriebnahme läuft uns die Zeit davon, um den Kohleausstieg 2030 noch zu schaffen.

Focus: Fehlte es an der Einsicht? Oder waren wir schlicht verführt vom billigen russischen Gas?

Krebber: Deutschland hat bei der Energieversorgung in den letzten Jahren in Teilen auf Pump gelebt. Versorgungssicherheit wurde als gegeben angesehen, die Diversifizierung der Gasversorgung nicht unterstützt. Und statt den Neubau von neuen Anlagen anzuschieben, haben wir Abschaltdebatten geführt - mit Kommissionen zu Kernenergie und Kohle.

Focus: In der Not haben alle, auch aus der Wirtschaft, nach der Politik gerufen: Soll der Staat nun wieder dauerhaft eine stärkere Rolle im Energiesektor spielen?

Krebber: Nein, diese Entwicklung bereitet mir Sorgen, daher der klare Appell: Die Rollenverteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft muss gewahrt bleiben. Wo der Staat in der Gaskrise Unternehmen aus guten Gründen übernommen hat, braucht es schnell Pläne, wann und wie er sich wieder zurückzieht. Wir werden als Privatunternehmen sicher nicht dauerhaft mit Staatsbetrieben in Konkurrenz treten, den Wettbewerbsnachteil können wir nicht ausgleichen.

Focus: Dann wehren Sie sich auch gegen die Verstaatlichung der Stromnetze, wie sie gegenwärtig im Fall von Tennet diskutiert wird?

Krebber: Diese Überlegungen kann ich nicht nachvollziehen. Deutschland wird die notwendigen Investitionen für den Klimaschutz nicht hinkriegen, wenn alles staatlich organisiert wird. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie am Ende für private Unternehmen und Investoren attraktiv ist. Und das ist möglich. Die Technologien sind da, das Kapital auch.

Focus: RWE hat sich an der Seite des Staates um LNG-Terminals gekümmert. In Rügen regt sich deswegen Protest, mit dem Argument, dass bereits Überkapazitäten aufgebaut wurden. Waren wir zu übereifrig?

Krebber: Nein. Man kann die Energieversorgung nicht auf Kante nähen. Es braucht Puffer, der Winter kann auch kälter werden. Die Entscheidung über die Kapazitäten liegt freilich beim Staat. Wir helfen, soweit wir können, aber wir bleiben sicher nicht dauerhaft an LNG-Terminals beteiligt.

Focus: So grün Sie heute auftreten, RWE bleibt trotzdem Feindbild der Klimaaktivsten: Dafür stehen Namen wie Hambacher Forst und Lützerath.

Krebber: In Lützerath ging es am wenigsten um konkrete Sachverhalte, sondern vor allem um das Symbol. Es gab zur notwendigen Inanspruchnahme der ehemaligen Siedlung eine politische Verständigung mit der Bundesregierung und der Landesregierung in NRW. Daran haben wir uns gehalten. Grundsätzlich können Unternehmen keine gesellschaftlichen Konflikte lösen.

Focus: Was ist Ihre Lehre aus diesen Protesten? Wie viel Dialog ist sinnvoll, auch mit radikalen Gruppen?

Krebber: Als Gesellschaft wäre eine inhaltliche Debatte wünschenswert, wie und wovon wir künftig leben wollen. Um unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten ist unser Land weiterhin auf die Industrie angewiesen. Radikale Klimaaktivsten sind für eine solche Diskussion vermutlich nicht zu gewinnen. Sie haben eine völlig andere Sicht auf Staat, Gesellschaft, Wirtschaft.

Focus: Auch gemäßigte Klimaschützer wie Luisa Neubauer sagen, dass die Kräfte der Beharrung, also Leute wie Sie, irgendwann einsehen müssen, dass es in Deutschland nur ohne Auto- und Chemieindustrie geht.

Krebber: Das ist nicht meine Auffassung. Und ich glaube auch nicht, dass es in Deutschland für solche Positionen politische Mehrheiten gibt.