Es gibt nicht viele Klammern der europäischen Energiepolitik. Und die wichtigsten dieser Klammern haben mit gemeinsamen Märkten zu tun. Doch gerade in der Krise kommt diese Errungenschaft der gemeinsamen und in den letzten Jahren deutlich vertieften Märkte in Gefahr.
Das ist gerade für eine elementare Klammer der europäischen Energie- und Klimapolitik relevant – den europäische Handel mit CO2-Emissionsrechten. Jetzt schlägt die EU-Kommission vor, diesen als Finanzierungsquelle heranzuziehen – was die gesamte Klimaschutzarchitektur Europas gefährdet. Und damit wird auch eine weitere große Klammer EU-Energiepolitik, die ambitionierte europäische Klimapolitik, beschädigt.
Durch strikte Mengenvorgaben – das heißt wie viele Verschmutzungsrechte jedes Jahr verfügbar gemacht werden – ist der CO2-Minderungspfad durch das EU-Emissionshandelssystem klar vorgegeben. Bisher erreichen nur die dem Emissionshandelssystem unterliegenden Sektoren ihre Emissionsminderungsziele – und das auf ökonomisch effizienteste Weise: Über den sich aus den Auktionen ergebenden Preis wird sichergestellt, dass dort am ehesten CO2 vermieden wird, wo es am einfachsten oder günstigsten ist. Dass der Preis seit einigen Jahren kontinuierlich steigt, liegt im System. Es werden weniger Zertifikate verauktioniert, und es wird tendenziell immer teurer, weitere Emissionen einzusparen. Aber gerade durch den steigenden Preis für Verschmutzungsrechte entstehen massive Anreize, auf grüne Technologien umzustellen. Bei den aktuellen und absehbaren CO2-Preisen von über 80 Euro pro Tonne CO2 sind diese Anreise allesandere als nebensächlich.
Dass das europäische Emissionshandelssystem wieder gut funktioniert – für längere Zeit war das System wegen extrem hoher Zertifikatsüberschüsse nur sehr eingeschränkt wirksam – ist einer zentralen Reform des Emissionshandelssystems zu verdanken, der Marktstabilitätsreserve. Diese soll Schwankungen ausgleichen, in Phasen von Zertifikatsüberschüssen diese in die Reserve nehmen und dort schrittweise löschen. Genau diese Reserve will die EU-Kommission jetzt nutzen, um Finanzmittel zu generieren. Es sollen aus der Reserve so viele Zertifikate verkauft werden, bis 20 Milliarden Euro erzielt worden sind. Es sollen also CO2-Zertifikate, die aus sehr guten Gründen und mit einem sehr transparenten und berechenbaren Verfahren aus dem Markt genommen werden, allein aus Gründen der Einkommenserzielung wieder in den Markt verkauft werden.
Mit zusätzlich verfügbaren Emissionsrechten werden die Emissionen steigen, und kann sich auch ein Teufelskreislauf in Gang setzten. Ein höheres Angebot an Zertifikaten lässt den Preis sinken. Ein gesunkener Preis braucht eine noch höhere Menge an zusätzlichen Zertifikaten, um die 20 Milliarden Euro Mittelaufkommen zu generieren – und so weiter.
Das europäische Emissionshandelssystem erreicht die Minderungsziele. Es bietet den Unternehmen verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit für Investitionen in die Vermeidung von CO2-Emissionen. Genau dieses Architektur wird durch den Plan der EU-Kommission zum Einsturz gebracht. Die Folge werden dramatisch sein: Es gibt keinen verlässlichen Pfad der Emissionsminderungen mehr, die Preise für Verschmutzungsrechte werden sinken und damit die Anreize der Unternehmen zur Umstellung auf grüne Technologien. Die grüne Transformation wird verlangsamt.
Am Ende werden die Emissionsminderungsziele nicht mehr erreicht, das Emissionshandelssystem ist diskreditiert und es bleiben nur noch dirigistische Eingriffe, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Europa wird seines funktionierenden, marktbasierten und effizienten Instrumentariums zur Erreichung der Emissionsminderungen beraubt. Man zerstört ein zentrales Instrument der europäischen Energie- und Klimapolitik, weil man sich über andere Finanzierungsmechanismen nicht einigen kann. Doch es ist eine Illusion, damit die Aufnahme von Schulden zu vermeiden. Sie werden nur an einer Stelle aufgenommen, an der sie viel schwerer auszugleichen sind: beim Klimaschutz und beim auch für die grüne Transformation so wichtigen europäischen Binnenmarkt für Energie. So wird nicht nur ein Instrument geplündert, wenn die Pläne der EU-Kommission Realität werden sollten.
Gastkommentar von Felix Matthes und Markus Krebber
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