
Herr Krebber, die Gewinne von RWE sinken, weil die Strompreise gefallen sind. Zugleich klagen Deutschlands Industriemanager über zu teuren Strom. Wie passt das zusammen?
Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen dem Strompreisniveau und unseren Gewinnen. Zudem steht Deutschland nur für ein Fünftel unseres Ergebnisses. Klar ist aber: Die energieintensive Industrie in Deutschland hat Probleme und braucht Unterstützung. Energie ist hier eben viel teurer als zum Beispiel in Texas oder im Mittleren Osten.
Warum schafft es RWE nicht, Strom so billig wie in anderen Weltregionen zu produzieren?
Weil die Voraussetzungen andere sind. Wenn Sie fossile Energieträger nutzen, sitzen Sie am besten direkt an der Quelle, sonst wird es teurer. Die Gaspipelines aus Russland waren so etwas wie eine Anbindung direkt an eine Quelle. Jetzt muss Deutschland auf dem Weltmarkt Flüssigerdgas kaufen, das mit Schiffen transportiert wird. Und wenn Sie statt Öl, Kohle und Gas erneuerbare Energien nutzen, braucht es vor Ort gute Bedingungen. Etwa viel Sonne und freie Flächen für große Solar- oder Windparks. Da sind andere Länder im Vorteil. Das ist aber keine deutsche Besonderheit. In Japan, Südkorea oder in den Küstenregionen der USA ist die Lage ganz ähnlich.
Das klingt so, als müsste sich die Industrie nach dem Abschied vom billigen russischen Gas einfach an eine neue, teurere Realität anpassen.
Energie wird teuer bleiben, teurer als früher, wir werden nicht mehr zu den alten Niveaus zurückkehren. Das belastet die Industrie, besonders energieintensive Unternehmen haben es in Deutschland schwer. Hier kann unser Land aber von anderen lernen. In manchen Ländern werden energieintensive Branchen durchaus gezielt bei den Energiekosten entlastet.
Die Bundesregierung plant einen subventionierten Industriestrompreis, um energieintensive Betriebe zu entlasten. Das müssten Sie begrüßen, oder?
Grundsätzlich ja. Aber so, wie er umgesetzt werden soll, ist der Industriestrompreis nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Regelung gilt nur für drei Jahre, mehr erlaubt das Beihilferecht der EU nicht. So entsteht keine Planungssicherheit, dank der energieintensive Unternehmen wieder in Deutschland investieren würden. Dafür brauchen sie langfristige Regelungen.
Was schlagen Sie vor?
Es gibt energieintensive Industrien, die in Deutschland zu aktuellen Bedingungen nicht zu halten sind, die jedoch gebraucht werden: als Teil von integrierten Wertschöpfungsketten oder um Abhängigkeiten von Importen zu vermeiden. Diese Industrien benötigen verbindliche langfristige Entlastungsregelungen. Die Branchen sollten dann zum Beispiel für zehn Jahre Klarheit haben, dass Netzentgelte reduziert werden oder dass sie von Steuererleichterungen profitieren, von der Strompreiskompensation oder von der freien Zuteilung von CO2-Zertifikaten im Emissionshandel.
Die Regierung wird auch den Bau von Gaskraftwerken subventionieren, als Reserve für Ökostrom-Flauten. Im März soll die Ausschreibung für die Förderung starten. Wie viele Kraftwerke will RWE bauen – und bis wann?
Das sind keine Subventionen, sondern eine Vergütung für das Vorhalten von gesicherter Leistung, also für Versorgungssicherheit. Wir wollen bis zu drei Gigawatt bauen …
… was mindestens sechs Kraftwerken entspräche …
Das hängt von den jeweiligen Größen ab. Aber erstmal brauchen wir ein Vergütungsmodell. Die Ausschreibung verzögert sich seit Jahren. Dennoch haben wir in der Zwischenzeit die Planung für die Kraftwerke weitergetrieben und auch Vorverträge mit Lieferanten abgeschlossen. Bekommen wir den Zuschlag in der Auktion, können wir sofort loslegen. Wenn die Ausschreibungen im Frühjahr kommenden Jahres stattfinden, könnten die ersten Kraftwerke 2030 in Betrieb gehen. Das würde dann auch die Strompreise stabilisieren.
Die neuen Gaskraftwerke sollen später von Erdgas auf klimafreundlich erzeugten Wasserstoff umgestellt werden. Werden Ihre dafür bereit sein?
Wir haben einen klaren Fahrplan, wie wir neue Kraftwerke binnen acht Jahren auf 100 Prozent Wasserstoffeinsatz umstellen können.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche wollte ursprünglich Gaskraftwerke mit 20 Gigawatt Kapazität bauen lassen, nun sind es acht. Reicht das aus für eine sichere Stromversorgung?
Die Bundesregierung hat das Zielbild eines technologieoffenen Kapazitätsmarkts. Der wird die benötigten 20 Gigawatt liefern. So ein System vergütet Unternehmen nicht für den produzierten Strom, sondern dafür, gesicherte Leistung vorzuhalten. Das können Batteriespeicher sein, Gaskraftwerke oder andere Lösungen. Sie springen schnell ein, wenn Wind und Sonne nicht genug Strom liefern. Viele Nachbarländer haben solche Märkte schon, sie funktionieren und sind günstig. Das ist der richtige Ansatz.
Also braucht es dieses Subventionsprogramm für neue Gaskraftwerke gar nicht?
Wie gesagt: Die geplanten Auktionen sind keine Subventionen, sondern wettbewerbliche Ausschreibungen zur Vergütung von Versorgungssicherheit. Und die Ausschreibungen braucht es, um die Zeit bis zur Einführung des Kapazitätsmarkts zu überbrücken. Es wird dauern, die Regeln für den Kapazitätsmarkt zu entwickeln, mit der EU-Kommission zu verhandeln und das System umzusetzen. Wenn wir den Kapazitätsmarkt 2028 haben, kommen die ersten neuen Kraftwerke daraus 2033, vielleicht 2032. Das ist zu spät. Deshalb ist es richtig, über die Ausschreibungen vorweg den Bau einer ersten Welle von Gaskraftwerken anzureizen. Diese werden wir sowieso brauchen, auch in einem Kapazitätsmarkt. Entscheidend ist Tempo, Deutschland muss jetzt endlich loslegen.
Zumal Sie sich verpflichtet haben, bis 2030 Ihre klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke im Rheinland vom Netz zu nehmen. Ist dieses Ziel realistisch, werden wir auf die verzichten können?
RWE beendet die Braunkohleverstromung am 31. März 2030. Das ist vertraglich und gesetzlich geregelt. Ob die Kraftwerke danach noch als Reserve bereitstehen sollen, müssen Bundesnetzagentur und Regierung entscheiden. Dann würden wir die Anlagen nur noch im Auftrag des Bundes betreiben, RWE wäre Dienstleister und würde etwa die Mannschaften dafür stellen. Die Reservehaltung von Braunkohlekraftwerken ist aber im Vergleich zu Steinkohlekraftwerken aufwendiger und teurer.
In wenigen Wochen jährt sich der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump. Der ist ein Gegner erneuerbarer Energien. RWE ist drittgrößter Ökostrom-Produzent der USA. Ist das Geschäft tot?
Im Gegenteil. Windprojekte zur See sind zwar auf Eis gelegt, aber alles andere läuft weiter: Onshore-Wind, Solar, Batterien. Da haben sich die Unsicherheiten gelegt. Die Förderung geht bis Ende der 20er-Jahre weiter, und auch bei den Zöllen gibt es Beruhigung. Wir treffen wieder genauso viele Investitionsentscheidungen wie vor dem Regierungswechsel. Haupttreiber ist die wachsende Stromnachfrage in den USA.
Trump wollte doch die Energiewende abwürgen, zugunsten fossiler Energien.
Angesichts der großen Nachfrage ist die Strategie eher and, and, and. Da werden in Texas Erneuerbare gebaut, um mehr Öl und Gas für den Export zu haben. Insofern passt für die USA beides zusammen.
Und würden Sie sagen, Deutschland verfolgt im Gegensatz dazu eine no, no, no-Strategie?
Gott sei Dank nicht mehr. Aber ein Teil des Problems ist, dass hier jahrelang nur Abschaltdebatten geführt wurden und keine Einstiegsdebatten. Jetzt sind wir auf einem Ausbaupfad für Erneuerbare und auch für Batteriespeicher. Und die Investitionen in gesicherte Leistung, in Versorgungssicherheit kommen hoffentlich auch schnell. Aber dieser Fokus aufs Abschalten hat Strom teurer gemacht, zumindest vorübergehend.
Manche sagen, die deutsche Energiewende war zu teuer und ist deshalb gescheitert.
Das halte ich für sehr verkürzt. Alles, was kapitalintensiv ist, ob man Häuser baut, Straßen oder Netze, ist teurer geworden. Das liegt einerseits an Lieferkettenproblemen und der angespannten geopolitischen Situation, andererseits an höherer Inflation und vor allem am gestiegenen Zinsniveau. Der relative Kostenanstieg bei Gaskraftwerken zum Beispiel ist höher als bei Erneuerbaren. Egal, was wir bauen, es wird teurer. Natürlich wäre es besser gewesen, wir wären die Investitionen in unsere Infrastruktur früher angegangen, als das Zinsniveau noch niedriger war. Aber das ist vergossene Milch.
RWE ist in vielen Ländern tätig. Gibt es eins, in dem die Energiewende viel besser läuft?
Die grundsätzlichen Probleme sind eigentlich in allen Märkten vergleichbar. Alle kämpfen mit gestiegenen Kosten, auch für die Lebenshaltung im Allgemeinen. Alle wissen, dass sie in die Infrastruktur investieren müssen. Und überall scheut sich die Politik zu sagen: „Wir investieren jetzt in die Zukunft unseres Landes, aber das wird uns heute was kosten.“ Diese Debatten gibt es nicht nur in Deutschland. Meine Befürchtung ist, dass uns diese Zögerlichkeit in ein paar Jahren auf die Füße fällt.
Bei der Energiewende hilft der EU-Emissionshandel: Kraftwerke und Fabriken müssen CO2-Zertifikate, also Verschmutzungsrechte, kaufen für ihren Ausstoß an Treibhausgasen. Das macht Wind- und Solarparks attraktiver. Trotzdem haben Sie jüngst gefordert, den Emissionshandel abzuschwächen. Warum?
Wir müssen alles dafür tun, dass Deutschland als Industriestandort erhalten bleibt. Und dafür muss man die Unternehmen entlasten, die im internationalen Wettbewerb sonst nicht bestehen könnten. Eine Lösung ist, ihnen länger als bisher geplant kostenlose CO2-Zertifikate zu geben. Sonst bekommen sie Probleme im Wettbewerb mit Asien oder Amerika, wo man diese Zertifikate nicht kaufen muss. Und mit einer Dekarbonisierung durch Verlagerung ins Ausland ist niemandem geholfen. Das gefährdet Arbeitsplätze und am Ende auch die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung.
Die Industriebetriebe erhalten einen Teil der CO2-Zertifikate kostenlos, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Die EU will aber die Zahl dieser Geschenke von 2026 an senken. Stattdessen soll ein neuer Klimazoll schmutzige Importe verteuern und auf diese Weise fairen Wettbewerb herstellen.
Das sind keine Geschenke, sondern ein richtiges Element der CO2-Bepreisung in einer offenen Volkswirtschaft. Man kann darauf verzichten, wenn der geplante Klimazoll an den EU-Außengrenzen wirkt. Ich habe aber große Zweifel, dass dieses Instrument funktioniert. Und solange das nicht sicher ist, sollte man der Industrie weiter die CO2-Zertifikate kostenlos geben. Sonst wandert sie ab. Das schadet dann Deutschland und dem Klimaschutz.
Das geht aber nur, solange die EU überhaupt neue CO2-Zertifikate vergibt. Die EU will klimaneutral werden, daher wird das irgendwann vorbei sein: Für null Emissionen gibt es null Zertifikate.
Deshalb sollte man den Pfad zur Klimaneutralität ökonomisch denken, also zuerst da dekarbonisieren, wo es leichter und günstiger ist, und bei der Industrie Tempo rausnehmen. Beim Anziehen von Schrauben gilt doch: Nach fest kommt ab. Wir dürfen nicht überdrehen. Die Technologie entwickelt sich weiter und wird auch wieder höheres Tempo ermöglichen. Die Klimaneutralität wird kommen.
Aber wann? Deutschland will das bis 2045 schaffen. Das wird nicht möglich sein, wenn wir beim Klimaschutz in der Industrie Tempo rausnehmen, oder?
Ich habe diese Fernzieldiskussionen immer schon für fehlgeleitete Energie gehalten. Wir müssen darüber nachdenken, was in den nächsten fünf Jahren die richtigen Weichenstellungen sind, um mit höchster Geschwindigkeit in die richtige Richtung zu fahren. Aber die Frage, ob wir damit 2045 ein bestimmtes Ziel erreichen, finde ich komplett müßig. Am Ende verlieren wir damit sämtliche Unterstützung, und die Menschen wählen Parteien, die wir alle nicht wollen – dann erreichen wir das Ziel auch nicht.
Das Ziel ist aber nicht vom Himmel gefallen. Es fußt auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und auf dem Pariser Klimaabkommen.
Aber auch das sind Sachen, die in Demokratien revidiert werden – siehe USA. Die sind einfach aus dem Klimaabkommen ausgetreten.
Das klingt, als wäre Ihnen das Wohlergehen der Industrie wichtiger als der Kampf gegen die Erderwärmung. Ist das so?
Nein, so meine ich das nicht. Aber wenn Deutschland nicht reagiert und die energieintensive Chemie und die Metallverarbeitung das Land verlassen, kommen deren Produkte halt aus dem Ausland, wo sie mit höheren Emissionen produziert wurden. Dann verlieren wir die Industrie, und insgesamt gehen die Emissionen hoch. Wir müssen also daran arbeiten, dass möglichst viele Länder beim Klimaschutz mitziehen. Sonst werden wir scheitern.
© Süddeutsche Zeitung GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Das Interview führten Michael Bauchmüller und Björn Finke.