Gastbeitrag in Audit Committee Quarterly, Ausgabe III/2022

Investieren, um aus der Krise zu kommen

Dr. Michael Müller | RWE AG

In Europa herrscht Krieg. Das menschliche Leid in der Ukraine ist furchtbar. Die Auswirkungen spüren wir auch in Deutschland; etwa bei der Energieversorgung, die aufgrund ausbleibender Gaslieferungen aus Russland besonders betroffen ist. Noch nie war in der Bundesrepublik die Sorge, im Winter bei der Energieversorgung in eine Notlage zu geraten, so groß. Denn neben leeren Gaspipelines sind weitere Faktoren von Bedeutung: In Frankreich produziert derzeit fast die Hälfte der Kernkraftwerke keinen Strom. Dürre und niedrige Wasserstände führen zu einer geringeren Wasserkraftproduktion im Süden Europas. Und aufgrund niedriger Wasserkraft-Reservoirs in Frankreich, Italien und Spanien wird auch in den kommenden Monaten eine unterdurchschnittliche Stromproduktion erwartet. All das verschärft die Energieknappheit.

Investieren, um aus der Krise zu kommen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellt das vor gewaltige Herausforderungen. Besonders schwierig werden die nächsten beiden Winter. So lange wird es wohl mindestens dauern, bis alternative Importkapazitäten für Gas verfügbar sind; diese werden diejenigen Gasmengen ersetzen, die bislang über Pipelines aus Russland kamen. Um einen Energiemangel kurzfristig abzuwenden, braucht es ein Bündel an Maßnahmen. Eine davon ist die Errichtung schwimmender Terminals vor der deutschen Küste, um Flüssiggas, kurz LNG, ins Gasnetz einzuspeisen. Mit ihrer Hilfe wird Deutschland mittelfristig das ausbleibende und pipelinegebundene Gas aus Russland ersetzen können. Dabei helfen wir von RWE. So haben wir im Auftrag der Bundesregierung zwei Spezialschiffe gechartert, mit denen jährlich zwischen 10 und 14 Mrd. Kubikmeter Gas nach Deutschland eingespeist werden können. In Brunsbüttel kümmern wir uns um den landseitigen Anschluss eines solchen Schiffes und beteiligen uns zudem am Bau eines LNG-Terminals. Auch in der Ostsee können wir tätig werden: Zusammen mit unserem Partner Stena Power & LNG Solutions planen wir, ein schwimmendes LNG-Terminal vor Lubmin zu errichten.

Gas wird vor allem für die Industrie benötigt, deren Produktion maßgeblich für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgt. In der Stromproduktion lässt es sich weitgehend durch andere Energieträger ersetzen, dafür müssen temporär Kohlekraftwerke zurück ans Netz. Für den Klimaschutz ist das keine gute Lösung, deshalb kann es auch nur ein Schritt auf Zeit sein. Für RWE kann ich sagen: Wir stehen zum Kohleausstieg. Er ist richtig und er wird kommen.

Langfristig heißt das für die deutsche Energieversorgung also zweierlei: Sie muss unabhängiger von einzelnen Lieferanten werden und sie muss klimaneutral werden. Beides gehört zusammen. Und für beides gibt es eine einfache Formel: Energiewende. Erneuerbare, Speicher, wasserstofffähige Gaskraftwerke, Wasserstoff – das sind die Schlüssel zu einer grünen und unabhängigeren Energiewelt.

Diese moderne Energiewelt muss auch bezahlbar sein, ohne eine teilweise ausufernde Preisrallye, die wir bei Gas- und Strompreisen aktuell erleben. Viele Firmen, aber auch Bürgerinnen und Bürger sind davon stark betroffen und nicht mehr in der Lage, die hohen Energiepreise alleine zu tragen. Dass die Politik hier entlasten will, ist richtig. Dass Energieunternehmen dabei helfen müssen, steht außer Frage. Am wirkungsvollsten kann das geschehen, indem die Ursache der Energieknappheit durch massive Investitionen in die Energieversorgung und die Energieinfrastruktur bekämpft wird. Milliardeninvestitionen der Energiewirtschaft, mit der die Strom- und Gasversorgung robuster und grüner werden kann, brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Kurzfristige Markteingriffe der Bundesregierung, wie etwa die Abschöpfung von sog. Zufallsgewinnen, müssen zudem so gestaltet werden, dass die Funktionsweise des Markts und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten bleiben. Wie bei anderen Maßnahmen auch, müssen solche Eingriffe deshalb von vorneherein zeitlich befristet werden.

Der überwiegende Teil des Stroms wird heute langfristig an Kunden und über die Börse verkauft. Er unterliegt damit nicht den schwankenden Preisen des Tagesmarkts – das schafft Stabilität. Der Anreiz für diese Termingeschäfte muss deshalb auf jeden Fall erhalten bleiben. Dafür wäre es im Übrigen hilfreich, wenn der Staat den Zugang zu Liquidität erleichtern würde, die Unternehmen aufgrund der Preisrallye für Termingeschäfte aktuell benötigen.

Investieren, um eine moderne, klimafreundliche und bezahlbare Energieversorgung zu verwirklichen – das ist die große Aufgabe, vor der Deutschland steht. Viele Unternehmen wollen dazu beitragen. Bei RWE haben wir schon im vergangenen Jahr unsere Strategie »Growing Green« auf den Weg gebracht: Wir wollen bis 2030 weltweit 50 Mrd. EUR brutto in erneuerbare Energien, Speicher, Back-up-Kapazitäten und grünen Wasserstoff investieren. 15 Mrd. EUR davon haben wir allein für Deutschland vorgesehen. Hier wollen wir jedes Projekt machen, das möglich ist.

Was die Energiebranche dazu vor allem benötigt, sind passende Rahmenbedingungen. Dazu gehören ein attraktives Marktdesign, ausreichend Flächen für neue Anlagen und schnellere Genehmigungsverfahren. Ermutigend ist: Die Politik hat dazu neue Pakete geschnürt. Und sie hat gezeigt, dass es in der Krise schnell gehen kann. Diesen Spirit braucht es weiterhin. Denn der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Energiekrise bedeuten keineswegs das Ende der Energiewende, sondern ein »Jetzt erst recht«!

Ich bin überzeugt: Die Energiekrise geht tief, aber sie lässt sich bewältigen. Durch kurzfristige Maßnahmen, mit denen Versorgungssicherheit gewährleistet wird. Und durch langfristiges Agieren, das eine unabhängigere, diversifizierte und klimaneutrale Energiewelt möglich macht. Unser Land kann sich diesen Erfolg erarbeiten, unser Land kann sich aus der Krise herausinvestieren.

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