Augsburger Allgemeine vom 29.09.2022

RWE-Ökostrom-Chefin fordert doppeltes Tempo bei Windparks

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Frau Wünschel, die Energiemärkte sind völlig aus den Fugen geraten, die Preisexplosion hat mehr Wucht als die der Ölkrise in den 70er Jahren. Als jemand der das Energiegeschäft macht, wann wird es wieder gut?

Katja Wünschel: Was wir momentan hier sehen, ist maßgeblich getrieben von der Energieknappheit durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir alle müssen jetzt daran arbeiten, dass wir eine nachhaltige, bezahlbare und umweltfreundliche und unabhängige Energieversorgung sicherstellen. Die Energiewende, die Transformation ist  akuter denn je. Von daher steht und fällt es damit, wie schnell und wie erfolgreich wir das als Land hinbekommen. Und da rede ich nicht nur von erneuerbaren Energien. 

Nein? Sie sind doch Wind- und Solarchefin. 

Wünschel: Es ist der gesamte Mix, den wir umstellen und aufbauen müssen. Wir brauchen das Flüssiggas LNG. Wir brauchen die Batterien, die Speicher, wir brauchen Wasserstoff, grünen Wasserstoff. Das alles gleichzeitig hinzubekommen, ist schon ein ziemlicher Kraftakt für die nächsten Jahren. Bis zum Jahr 2030 sind es nur noch acht Jahre. Dann soll der CO2-Ausstoß schon deutlich geschrumpft sein. Es sind nur noch acht Jahre und da müssen wir wirklich zweigleisig fahren. Ach was, das reicht gar nicht. Es sind wahrscheinlich fünf, sechs Gleise, die wir gleichzeitig befahren müssen. Nicht mit dem normalen Zug, sondern dem ICE.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat ein enormes Tempo vorgegeben, jetzt zeigen sich erste Schleifspuren, wie bei der vermurksten Gasumlage. Habeck sagt selbst, dass seine Leute fertig sind. Da drängt sich die Frage regelrecht auf, ob der Umbau das nötige Tempo erreichen kann? Gibt es einen Habeck-Schub?

Wünschel: Wir sehen momentan sowohl in Deutschland als auch in Europa, dass die Ausbauziele überall erhöht werden. Die EU hat die Ziele erhöht, Deutschland hat sie erhöht, andere Länder ziehen nach. Das Muster ist einheitlich und das ist auch wichtig. Und jetzt ist genau die große Frage, wie schnell lässt sich das in Maßnahmen umsetzen? Und da würde ich schon sagen, was wir die letzten zwölf Monaten gesehen haben, ist beeindruckend. So ein Tempo haben wir in Deutschland in den letzten zehn Jahren nicht gesehen. 

Haben Sie ein Beispiel dafür? 

Wünschel: Mein schönstes Beispiel ist eine Gemeinde in Bayern. Ich darf den Namen noch nicht nennen. Es ist eine Gemeinde, die bisher noch nichts in Sachen Erneuerbaren gemacht hat. Und diese Gemeinde ist auf uns zugekommen und hat gefragt, was können wir machen? 

Was können Sie denn machen?

Wünschel: Zum Beispiel gemeinsam einen Windpark bauen. So, wie wir das etwa in Bedburg in Nordrhein-Westfalen tun. Der Stadt dort gehören 49 Prozent des Windparks, wir halten 51 Prozent. Beide profitieren. So, wie dort fragen wir die Menschen vor Ort, was sie wollen. Wollen sich die Bürger als Partner daran beteiligen, oder die Kommune? Wollen die Haushalte Grünstrom aus dem Park? Entscheidend ist, dass man es gemeinsam macht. Das hilft auch bei den Genehmigungen. Wir haben es dort in zwei Jahren geschafft. 

Da sind wir wieder beim Tempo. Normalerweise dauert es sechs bis sieben Jahre, bis in Deutschland ein Windpark an Land fertig ist.

Wünschel: Ja, das ist leider viel zu langsam und kann nicht so bleiben. Wir müssen das in zwei bis vier Jahren schaffen, also im Durchschnitt in drei Jahren. Wenn alte Windräder durch neue ersetzt werden, sollte es noch ein Jahr schneller gehen. 

Wie ist es bei Solarfeldern? 

Wünschel: Solarprojekte zu genehmigen, geht jetzt schon schneller. Es dauert zwei bis vier Jahre.  Es hängt vor allem davon ab, wie groß das Projekt ist. 

Weil Sie vorhin vom Jahr 2030 sprachen – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ermittelt, wie weit Deutschland von den Zielen dieses Jahres entfernt ist bei Windkraft, Solar und Elektroautos. Die Ziele werden weit verfehlt. Denken Sie dennoch, es ist machbar?

Wünschel: Ich bin sehr optimistisch. Das ist machbar. Es ist sehr anspruchsvoll, aber es ist machbar. 

Vom Optimismus zur rauen Wirklichkeit. Die Zeiten sind für Unternehmen und private Haushalte ganz schwierige, weil Energie so teuer geworden ist. Wenn man nicht gerade Gas-Importeur ist und man ist Energieversorger, dann hat man gute Zeiten und schreibt Rekord-Gewinne. Auch RWE hat profitiert. Können Sie verstehen, dass die Forderung laut wird, die Konzerne sollen einen Teil dieser Übergewinne abgeben?  

Wünschel: Das Energiesystem hat in den vergangenen 20 Jahren sehr gut funktioniert. Durch den Krieg Russlands ist es gestört. Jegliche Eingriffe sollten nur kurzfristig sein. Unternehmen müssen weiter die Möglichkeit haben, Investitionen in moderne Technologien wie Erneuerbare und Wasserstoff zu tätigen. Das ist der beste Beitrag, den Energieunternehmen leisten können, um schnell aus der Krise herauszukommen. Klar ist auch, dass die Bundesregierung denjenigen unter die Arme greifen muss, die mit der Situation jetzt nicht mehr zurechtkommen.

Heißt das, so eine Sonderabgabe der Energiekonzerne wäre schon vertretbar?

Wünschel: Wie ich gesagt habe: Die Energieunternehmen sollen ihren Beitrag leisten, am besten durch Investitionen in ein modernes und bezahlbares Energiesystem. 

Was viele nicht verstehen ist, wieso die teuersten Kraftwerke den Gesamtpreis für Strom bestimmen. Wie könnte man dieses System reformieren, damit die Preise runtergehen? 

Wünschel: Grundsätzlich funktioniert der Strommarkt. Jetzt werden kurzfristige Eingriffe diskutiert, weil die Rohstoffknappheit groß ist und wir Phantasiepreise z.B. für Gas sehen. Wie Reformen aussehen können, da bin ich definitiv nicht der richtige Experte. Es ist ein sehr komplexes System. 

Zweites Reizthema ist die Atomkraft. Brauchen wir die drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke in diesem Winter oder nicht?

Wünschel: Das muss die Bundesregierung entscheiden. 

Zurück zu den erneuerbaren Energien, ihrem Fachgebiet. Damit RWE in die Fläche kommt, haben Sie sieben Regionalbüros in ganz Deutschland eröffnet. Eines davon steht in Augsburg. Wann baut RWE den ersten Windpark in der Nähe der Stadt?  

Wünschel: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wir sind im November gestartet, bauen die Teams auf und sind jetzt dabei, die Flächen zu sichern. 

Flächen sichern? 

Wünschel: Das ist der erste Schritt für die Projektentwicklung. Sie müssen Pachtverträge mit den Landbesitzern schließen. Da haben wir schon einige hundert Hektar gesichert. Nächstes Jahr kann ich Ihnen mehr zu konkreten Projekten sagen.

Wie steht Bayern aus Ihrer Sicht bei den Erneuerbaren?

Wünschel: Bayern ist der Sonnenkönig, das muss man ganz klar sagen. Bei Solarenergie ist der Freistaat spitze. Bei Wind herrscht dagegen eher eine Flaute, deshalb sehen wir hier noch so viel Potenzial. Jetzt haben wir den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die umstrittene 10-H-Regel soll fallen, der Abstand von Windrädern zu Siedlungen soll auf 1000 Meter verkürzt werden. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, aber das wird noch nicht ausreichen. Also eigentlich müsste die bayrische Regelung noch weiter verbessert werden, so wie es andere Bundesländer auch machen. 

Die Windkraft hat nicht nur Freunde unter den Bayern. Könnte man sich nicht völlig auf Photovoltaik konzentrieren im Süden?

Wünschel: Nein, das geht nicht auf. Denn nachts scheint die Sonne nicht und die dann entstehende Lücke kann nicht vollständig mit Speichern überbrückt werden. Es braucht auch Windräder. 

Ministerpräsident Markus Söder hat einen Baum umarmt und verspricht 1000 Windräder in Bayern. Wie viel baut ihm RWE?

Wünschel: Wir als RWE wollen in Deutschland so viele erneuerbare Projekte wie möglich machen. Erstmal brauchen wir das Land und die Genehmigung und dann gucken wir, was umsetzbar ist. Wir sind bereit, zu investieren.

Söder hat vorgeschlagen, mehr Windräder in die Wälder zu stellen. Da bekommen Sie doch noch mehr Ärger mit Naturschützern wegen Rotmilan und Fledermaus. Das kann doch keine gute Idee sein…

Wünschel: Doch. Das sehen wir gerade in vielen Bundesländern, dass es in die Wälder geht. Wir können die Turbinen mittlerweile so hoch bauen, dass sie die Baumkronen weit überragen. Natur- und Artenschutzbelange vorausgesetzt, würde ich mir wünschen, dass noch viel mehr Wälder angeschaut werden.

© Augsburger Allgemeine

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